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Meinung Es ist eine GroKo: Tag 31

Frau Bär, wenn Sie wüssten, was meine Mädchen treiben!

Kathrin Spoerr Kathrin Spoerr
Kathrin Spoerr
Quelle: Infografik Die Welt, Foto:Cornelius Pflug
Digitalministerin Bär will, dass Kinder früher digital geschult werden. Meine Kinder sind schon sehr netzaffin. Ich bin eher besorgt um ihre Rechtschreibung. Darum fordere ich analoges Lernen mit Stift und Papier.

Vor ein paar Tagen hat Digitalministerin Bär einen Satz gesagt, den ihr Pressestab vermutlich kühn und modern fand: „In den Ranzen der Kinder gehören ein Tablet, Sportsachen und ein Schulbrot.“

Hätten meine Kinder diesen Satz gehört, hätten sie Frau Bär und ihrem Pressestab sicher applaudiert, denn das Benutzen von Bildschirmoberflächen aller Art macht ihnen große Freude. Das Wischen und Starren ist ungefähr die einzige Tätigkeit, an die ich sie nicht ständig erinnern muss. Sie machen es von ganz allein, gern den ganzen Tag, gern ohne Pause.

Wischen und Starren

Ich kann nicht behaupten, dass das Wischen und Starren meinen Kindern geschadet hat. Am iPhone haben sie jede Menge gelernt. Wie man vierstöckige Einhorngeburtstagstorten backt, wie man Chili con Carne ohne Fleisch herstellt, wie man aus Waschmittel, Küchennatron, Klebstoff und Glitzerkram eine eklige Masse namens Slime herstellt – und damit spielt, während man sich fünf Dutzend Videos reinzieht, in denen andere Kinder mit Slime spielen.

Sie haben in einschlägigen Apps medizinische Kurse belegt und wissen, wie man einen Blinddarm entfernt und eine Brust strafft. Sie wissen, wie man theoretisch einen Flickflack turnt und Klavier spielt. Ein reiches Reservoir an Netflix-Serien, die sie sich reinziehen, sobald sie gechillt und unbeobachtet sind, hat ihr Englisch perfektioniert.

Dümmer sind meine Kinder also nicht geworden. Sehr oft wird es mir allerdings zu viel mit der digitalen Bildung. Dann reiße ich ihnen das Smartphone aus der Hand und scheuche sie an ihre Schreibtische, Hausaufgaben machen.

Schöne Bildungstheorien

Denn leider gibt es bei meinen Kindern trotz der Bildungserfolge in der Theorie des Kochens, Backens und Blinddarmoperierens auch einige Bildungsdefizite, zum Beispiel bei der Rechtschreibung. Meine Kinder bemerken ihre Rechtschreibfehler nicht, denn wenn sie bei Google nach neuen Slime-Videos suchen, hilft ihnen die Autokorrektur.

Digitalministerin Bär wünscht sich richtige Bildung. Sie will, „dass Kinder auf dem Tablet Goethe lesen statt irgendeinen Schund auf Papier“. Das ist eine sehr schöne Theorie, die ich sofort unterstützen würde, genau wie die schönen Bildungstheorien der Vergangenheit wie das jahrgangsübergreifende Lernen, das Schreiben nach Gehör, die Abschaffung des Gymnasiums, die Bildungsgleichheit für alle, die allesamt nicht funktioniert haben.

Solange Frau Bär sich mit kühnen und modernen Theorien begnügt, setzte ich auf bewährte Praxis. In diesem Fall auf ein bisschen Zwang zum analogen Lernen mit Stift und Papier.

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