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Kolumne von Lehrer Jan-Martin Klinge: Einer denkt, zwei quatschen: Warum Gruppenarbeit in der Schule so oft schiefgeht
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Lehrer Jan-Martin Klinge (l.) hat eine Theorie, warum Gruppenarbeiten in der Schule so oft nach dem Muster laufen: Einer denkt, einer schreibt, zwei unterhalten sich.
Jan-Martin Klinge/Imago Lehrer Jan-Martin Klinge (l.) hat eine Theorie, warum Gruppenarbeiten in der Schule so oft nach dem Muster laufen: Einer denkt, einer schreibt, zwei unterhalten sich.
  • FOCUS-online-Gastautor

Gruppenarbeit in der Schule heißt oft: Einer denkt, einer schreibt, zwei unterhalten sich. Kein Wunder, denn damit Gruppenarbeit zu herausragenden Ergebnis kommt, muss eine ganz bestimmte Voraussetzung erfüllt sein.

Jöran Muuß-Merholz ist Diplom-Pädagoge und Buchautor (und Fernsehmensch und noch ganz viel anderes) und hat auf seinem Blog auf einen ganz spannenden Zusammenhang hingewiesen: Schaut man sich die Gewinner der Nobelpreise an, erkennt man einen signifikanten Anstieg der Team-Gewinner gegenüber Einzelpersonen in den letzten Jahrzehnten.

Veranschaulicht in einer Grafik sieht das so aus:

Ein guter Teil der Nobelpreise, die seit 1901 vergeben wurden, ging an mehr als eine Person. In Physik etwa gingen nur 47 der 113 Auszeichnungen an Einzelpersonen. Datenquelle: https://www.nobelprize.org/prizes/facts/nobel-prize-facts/
FOCUS Online/sk Ein guter Teil der Nobelpreise, die seit 1901 vergeben wurden, ging an mehr als eine Person. In Physik etwa gingen nur 47 der 113 Auszeichnungen an Einzelpersonen. Datenquelle: https://www.nobelprize.org/prizes/facts/nobel-prize-facts/
Fokussiert man sich auf die (schulnahen) Fächer Medizin, Physik oder Chemie und sieht sich außerdem die zeitliche Verteilung an, fällt auf, dass zuletzt mehrheitlich Teams den Nobelpreis gewannen und nicht mehr einzelne kluge Köpfe. Anders beim Literaturnobelpreis.

Das Fazit von Jöran: Wenn es um eine ,bedeutendste Entdeckung oder Erfindung‘, die ‚der Menschheit den größten Nutzen geleistet haben‘ (Testament von Alfred Nobel), dann wird Kooperation immer wichtiger. Waren die Akteure in Wissenschaft und Politik in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch Einzelkämpfer, so sind es heute mehrheitlich Teamarbeiter*innen.

Schüler sind Einzelkämpfer

Bezogen auf die Schule wirft das die ein oder andere Frage auf – denn das schulische System läuft dem genau entgegengesetzt. Mehrheitlich wird Faktenwissen abgefragt, im Abitur sitzt man allein und ohne Hilfsmittel vor einer Aufgabe, die binnen kürzester Zeit und nach einem vorgegebenen Weg abgearbeitet werden muss.

„Kooperation“ ist in der Schule eher ein Betrugsversuch. Das Nutzen von Internetquellen während der Abiturprüfung? Undenkbar.

Die erfolgreichsten Schüler (bezogen auf den Schulabschluss) sind jene, die Fakten und Lösungswege am besten auswendiglernen und wiedergeben können.

Über den Gastautor

Jan-Martin Klinge ist Lehrer, Vater und Blogger. Auf FOCUS Online schreibt er in loser Folge mit liebevollem Blick über das, was er in der Schule erlebt. Über Kinderfragen, Lehrerprobleme und ein bisschen darüber, was die Bildungspolitik in der Praxis so bedeutet. Übers Leben eben. Mehr von Jan-Martin Klinge finden Sie auf seinem "Halbtagsblog".

Jeder sollte lernen, hart und allein zu arbeiten

Heißt das jetzt, alles, was wir in der Schule machen, ist Mist?

Nein. Ich behaupte: Nicht nur zum Nobelpreis reicht es nur, wenn man vorher gelernt hat, richtig hart – und allein! – zu arbeiten. Auch ein guter Arzt wird man nur, wenn man vorher wahnsinnig viel Wissen angesammelt hat, Krankheitsbilder und Heilungsverläufe auswendig gelernt hat.

Deswegen möchte ich, dass meine Schüler lernen. Vor einigen Monaten schrieb ich auf meinem Blog über das Konzept „Request to Retest". Dabei kann ein Schüler sich nach erfolgloser Prüfung dieser erneut stellen, wenn er seinen Lernfortschritt dokumentiert.

Dazu bekommt er ein Formular und einige Fragen: Was war deine letzte Note? Hast du eine Erklärung? Welche drei Dinge hast du getan, um das Thema besser zu verstehen? Erhalte ich den Nachweis der ernsthaften Auseinandersetzung mit dem Thema, dann tritt anstelle des „Pech gehabt, nächstes Thema“ oder aber einer „aufgezwungen Berichtigung“ die aktive Möglichkeit des Schülers, seinen Fehler auszubessern.

Getty Images/Shuang Liu/FOCUS Online

Bildungsreport

Gesellschaftlicher Wohlstand und ein selbstbestimmtes Leben - dafür brauchen wir höchste Bildungsstandards – nicht nur für privilegierte Schichten. Im Bildungsreport zeigt FOCUS Online, vor welchen Herausforderungen Deutschland steht. Und stellt Menschen, Ideen und Projekte vor, die unsere Kitas, Schulen und Universitäten besser machen.

„Aber“, höre ich in Gedanken den (berechtigten?) Einwurf, „wie viele Chancen sollen die Schüler denn bekommen? Im richtigen Leben läuft das doch auch nicht so!“

Zwei Gedanken dazu: Ich glaube schon, dass es im richtigen Leben oft so läuft: Ich erstelle eine Arbeit, erhalte Rückmeldung, bessere sie aus und bekomme erneut Rückmeldung. Außerdem wirft dieses Konzept spannende Fragen auf: Was für ein Bild von Schule habe ich? Was verstehe ich unter Bildung? Was unter Lernen? Wie stelle ich mir die perfekte Schule (nicht: die perfekten Schüler!) vor?

Was ein Team wirklich ausmacht

Ein Team besteht aus lauter fähigen Einzelpersonen. Erst, wenn diese ihre Expertise, ihr Wissen und ihre Leidenschaft einbringen können, ist eine Gruppe überhaupt leistungsfähig. Diese Expertise muss Schule beim Einzelnen fördern und fordern.

Aber das Ziel ist heute mehr denn je der Gegenentwurf zur symbolischen „Gruppenarbeit“ in der Schule: Der Kluge denkt, der Ordentliche schreibt und zwei unterhalten sich.

Und jetzt werde ich ein bisschen pathetisch, aber das werden Sie aushalten: Wissen und Fleiß und harte Arbeit sind die Voraussetzung dafür, dass die Kinder dann die großen Ziele der Schule erreichen: Kommunikation, Kollaboration, Kreativität und kritisches Denken, Eigenverantwortung und Bildung und Menschwerdung.

Klingt zu groß?

Vergessen Sie nicht: Die Bildung unserer Kinder bestimmt die Zukunft dieses Landes. Da können die Ziele gar nicht hoch genug hängen.

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