Das Kind lernt schon in der Grundschule, wie es läuft im Haifischbecken. Von hier zur Uni, wie Ralf Klausnitzer in seinem Text beschreibt, führt ein gerader Weg. Sicher, noch ist das Kind ein Goldfisch. Seine Eltern lernen aber schnell, wie leistungsfixiert es zugeht, kaum sitzt das große Einmaleins. Das Klima überrascht besonders Eltern, die sich irgendwo links verorten, sich aber nun vom sozialpolitisch beliebten Bildungsideal der Chancengleichheit betrogen fühlen. Warum? Weil es verlogen ist. Berlin ist für sie bildungspolitisch ein „failed state“.
Kritiker sagen: Es ist doch ein Wahnsinn. Muss denn jedes Kind Abitur machen? Nun, noch gilt kein Abitur eher als schlechte Alternative, auch wenn die Social-Media-Karriere mit Händen greifbar sch
rnative, auch wenn die Social-Media-Karriere mit Händen greifbar scheint und bildungsbewusste Eltern in Erklärungsnot bringt. Für Eltern ist die Schullaufbahn auch sonst mitnichten eine randständige Galaxie. Das System Schule erodiert ganze Familiengefüge. Warum? Zum Beispiel auch, weil das sozialpolitische Ideal – Vereinbarkeit von Schule und Beruf – nicht so glatt funktioniert, wie sich die progressive Gesellschaft das idealerweise vorstellt. Dafür müsste Schule „wie früher“ nebenherlaufen. Wer kennt sie nicht, die Legenden von Eltern, die sich anders als verpönte Helikoptereltern nie um etwas kümmern mussten? Aber: Eltern bringen sich heute ein, weil es sonst nicht funktioniert, und nur vermeintlich hilft die allerorten propagierte Schulform „gebundene Ganztagsschule“. Der Bildungsauftrag bleibt der heimliche Zweitjob nach Feierabend, einfach, weil das Kind eben doch engmaschig begleitet werden muss, egal welche Schule es besucht. Meist machen Mütter die Überstunden, wenn sie am Abend noch einen Vortrag mithilfe von Wikipedia zusammenkloppen. Eigenleistung vom Kind: 40 Prozent. Es gibt Mütter, die im Elternchat mit lustiger Verzweiflung ankündigen, dass sie den echten Job eigentlich aufgeben wollen, so viel Stress bedeutet die Schule.Zurück zum Mantra von der Schule, die frühe Selektion vermeiden will. Sechs Jahre gemeinsames Lernen an der Grundschule klingt nach einer guten Idee. Wegen des Gerangels um wenige Schulplätze überlegen manche Eltern aber doch den (Ab-)sprung aufs Gymnasium ab Klasse 4. In der Hauptstadt gerät der Wechsel ab Klasse 6 sonst zu einem Vabanquespiel, denn ein Teil der Plätze wird verlost, der Großteil per „Numerus clausus“ vergeben.Klingt schrecklich? Ist es auch. Die Lehrer sind dazu verdammt, die Kinder für den Übergang durch zwei wichtige Halbjahre zu drängeln. Ständig werden Leistung und Kompetenz abgefragt, erfasst, beobachtet, bewertet. Das Kind bringt regelmäßig die Karteikarte mit dem aktuellen Schnitt nach Hause, der gegengezeichnet werden muss. Sein Kopf ist wie ein Container, in den „Content“ wandert, oft in Form von schlecht leserlichen Kopien. Ganz nebenbei gilt es da, noch fix in Deutsch ein „Lesetagebuch“ zu führen. Zur Auswahl steht der Roman Level 4 – Die Stadt der Kinder, der ist eine Ranschmeiße an die Medienwelt der Kinder, mit der die Schule konkurriert. Im Tagebuch muss der Roman-Content in einer Tabelle sortiert werden, das Tagebuch kommt wie eine Universal-Bedienungsanleitung für alles daher, um Literatur geht es nicht. Und wenn man Kindern die Lust an der Literatur effektiv austreiben will, dann geht es so.Es bleibt noch RestwürdeKinder mit einer Zwei für eine Klausur weinen, weil sie den Schnitt versaut. Man hört von Bauch- und Kopfschmerzen. Icons der Verzweiflung? Der Klassenchat ist voll davon. Manchmal kommt eine Ansprache des Lehrers, ein „Gut“ sei aber immer noch eine gute Zensur! Echt jetzt?Was läuft schief? In Berlin fehlen Tausende Schulplätze, es fehlen Lehrer. Die Lage ist dramatisch. Zwei Drittel der Neueinstellungen sind Quereinsteiger. Der studierte Lehrer ist ein Allrounder, er soll für jede Schulform und Schülerschaft gewappnet sein. Ist er aber nicht. Lehrer an Brennpunktschulen erhalten seit diesem Jahr Zulagen, die aber kaum eine Wirkung haben. Die Haupt- und Realschulen wurden abgelöst von der Sekundarschule. Deren Ruf ist schlecht. Die Sekundarschule (ISS) soll „leistungsstarke und schwächere Schülerinnen fördern“, lautet das euphemistische Wording, ein angehender Lehrer einer solchen Schule warnt: „ISSn ohne gymnasiale Oberstufe sind in aller Regel traumatisierende Klippschulen.“Das Gerangel ist daher am stärksten um die Sekundarschulen mit integrierter Gymnasialstufe, an der man das Abitur in 13 Jahren ablegt. Es ist eigentlich die ideale Schulform, um frühe Selektion zu vermeiden, die Einführung von G-8 war bekanntlich auch eine Schnapsidee. Alle diese weiterführenden Schulen können sich die Schüler aussuchen. Der Notenschnitt ist dabei das wichtigste Kriterium. Er liegt an manchen Schulen bei etwa 1,2. An den meisten Schulen liegt er unter 2,0. Wer also noch kein Leistungsträger ist, muss eventuell quer durch die Stadt fahren, weil es für keine vertrauenswürdige Alternative im Kiez reicht. Das (Los-)verfahren raubt so manchem Kind die (Rest-)würde. Irgendwie macht aber auch dieses Kind sicher Abitur. Schließlich schafft heutzutage jeder Zweite das Abitur. Für das anschließende Bachelor-Studium werden alle früh entsprechend zugerichtet.