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Die Startausgabe der „Super Illu“ wurde im August 1990 teilweise sogar aus dem Kofferraum heraus verkauft. Die Auflage ist seither wie überall in der Branche gesunken. Von der Jubiläumsausgabe wurden 260 000 Exemplare gedruckt.

© Repro: Promo

30 Jahre „Super Illu“: Ostdeutsche Lebenswirklichkeit abbilden

Vor 30 Jahren wurde die „Super Illu“ gegründet: Im Osten hat sie nach wie vor mehr Leser als „Spiegel“, „Stern“ und „Focus“ zusammen.

Im Frühjahr 1990 kam ein paar altbundesdeutschen Journalisten ein großer Verdacht: Hatten die Ostler etwa immer noch Ost-Sex? Wer befreit die Schlafzimmer? Wir gründen eine Zeitschrift für den Osten!, beschlossen Hubert Burda, Helmut Markwort und Jochen Wolff. Ein Titel mit „Super“ drin, wäre richtig super, überlegten sie. „Super Illu“? Natürlich gingen sie damit das Risiko ein, potenzielle Leser zu verlieren, nämlich die, die niemals eine Zeitschrift kaufen würden, die „Super Illu“ heißt. Aber auf die drei Mann verzichteten sie gern.

Der Münchner Verleger Hubert Burda sah im Osten einen riesigen Markt. Das ist durchaus merkwürdig, denn da gab es schon Zeitschriften, sogar gute: etwa die „Wochenpost“, den „Sonntag“, die „Neue Berliner Illustrierte“, nicht zu vergessen „Das Magazin“, das besaß geradezu Kultstatus. Aktfotografie inklusive. Aber das irritierte die Erfinder der „Super Illu“ nicht. Denn lasen die Ostler nicht über ihrem Niveau? Ein Titel wie „Super Illu“ wäre in der DDR undenkbar gewesen. Aber in einer freiheitlichen Gesellschaft hat jeder das Recht, auch unter seinem Niveau zu lesen. Hinzu kam: Seit ein paar Wochen besaßen die Noch-DDR-Bürger Westgeld. Sollten sie etwa Westgeld für eine Ost-Zeitschrift ausgeben?

In den Räumen von ADN

Niemand kaufte mehr Ost-Ware, doch nicht für Westgeld. Andererseits gab es auch gar keine Ostprodukte mehr, so etwas führten die neuen Märkte nicht, die Super-Märkte eben. Die „Super Illu“-Redaktion, eine paritätisch besetzte Ost-West-Mannschaft zog in die einstigen Räume des DDR-Nachrichtendienstes ADN am Alexanderplatz, Plattenbau.

Kein Zweifel, sie saß direkt am Puls der Zeit. Als sie die zweite Nummer vorbereiteten, blickten die Redakteure auf lauter zornige Bauern auf dem Alexanderplatz. Keiner kaufte mehr ihre Schweine, alle wollten nur noch Westschweine, weshalb die Ostschweine inzwischen schon so groß waren, dass sie nicht mehr in die Verarbeitungsmaschinen passten. Schließlich sprach Günther Krause zu den Bauern. Die Bilanz seines Auftritts: zwölf Eier und 16 Tomaten. Und das waren nur die, die trafen. Das war am 15. August 1990. Am 23. August 1990 erschien die erste „Super Illu“. Titel: „Große Freiheit auch im Bett“. Tipps für Sex und Gebrauchtwagen. Am 31. August 1990 um 14 Uhr unterzeichnete der von zwölf Eiern und 16 Tomaten getroffene Günther Krause mit Wolfgang Schäuble den Einigungsvertrag.

In der Woche dazwischen lasen die Ostler „Super Illu“. Eine Startauflage von 900 000 Stück schien den Herausgebern realistisch, Einführungspreis: 50 Pfennige, teilweise aus Kofferräumen heraus verteilt. Neuer Sex, neues Auto, neue Reisen, neues Leben! Und Mord und Totschlag. Das war das Rezept vor 30 Jahren.

Für die Zielgruppe schreiben

Und heute? Hätte Stefan Kobus, Chefredakteur der „Super Illu“, 1990 geglaubt, dass es die „Super Illu“, die Orientierungshilfe für Neu-Westler, 30 Jahre später immer noch geben würde? Kurzes Zögern in der Leitung, dann die Auskunft: „Darüber habe ich damals nicht nachgedacht.“ – „Und retrospektiv?“ – Es dauert einen Augenblick, dann wechselt Kobus in Chefredakteurstonlage. Sollte er wirklich Erstaunen darüber äußern, dass es die Zeitschrift noch gibt, der er vorsteht? Und er gibt seiner tiefsten Überzeugung Ausdruck, dass die „Super Illu“ auch in dreißig Jahren noch gelesen wird. – Also gibt es in dreißig Jahren immer noch Ostler? Er verrate jetzt mal das Erfolgsgeheimnis seines Blattes: Man schreibe nicht über die Zielgruppe, sondern für die Zielgruppe, sagt Kobus, geboren in denkbar größter Ostferne, in Trier.

Kobus weiß, wovon er redet, denn 1990 war er beim Bauer-Verlag, der hat in Hamburg die Zeitschrift „Unsere Illustrierte“ für den Osten entworfen. „Neun Monate später waren wir Geschichte“, sagt Kobus. Doch auch die „Super Illu“ musste bald etwas umdenken, denn es war plötzlich, als wache die Leserschaft aus einer kollektiven Hypnose auf. Sie hatte genug von Sex and Crime und stellte Fragen der Form: Wer bin ich? Genauer: Wer war ich? Die Ostler hatten gerade an einem historisch beispiellosen soziologischen Experiment teilgenommen, es war ein 17-Millionen-Mann- und-Frau-Versuch: Komplett-Austausch der Lebenswirklichkeit und der Gesellschaftsordnung binnen eines Jahres. Aber was ist der Nenner?, fragte sich der damalige Chefredakteur Jochen Wolff. Mia san mia? Wolff ist Bayer. Nur dass Bayern in diesem Fall vom Kap Arkona bis an den Rennsteig reichte, also sehr verschiedene Ethnien und Sprachgemeinschaften umfasste. Egal, mia san mia! Daraus ließ sich doch etwas machen.

Die Ostler dachten nun hin und wieder an Leute, die im Westen sowieso keiner kannte. Wolff auch nicht, aber dafür gab es die Ostler in der Redaktion. Lacky zum Beispiel, Reinhard Lakomy. Rocksongs und Kindermusicals. Hatte in der DDR jeder im Ohr. Als er 2013 starb, bekam er natürlich die Titelgeschichte. Und vor ein paar Wochen wurde Defa-Indianer Gojko Mitic 80 Jahre alt. Titelgeschichte. Für den Rest der Republik ist das Ostalgie, aber der Mensch ist nun einmal das einzige Tier, das eine Vergangenheit hat. Und eben nicht die gleiche.

„Wir bilden die Lebenswirklichkeit der Ostdeutschen vorurteilsfrei ab!“, fasst der Trierer Kobus zusammen. Das, ein großer Ratgeber-Teil, viel Regionales und ein großes politisches Interview in der Mitte: schon hat man die Kern-DNA der „Super Illu“, weshalb sie im Osten noch immer mehr Leser hat als „Spiegel“, „Stern“ und „Focus“ zusammen haben. Denn wenn die Zielgruppe bei den anderen etwas über sich liest, ist ihr immer, als gucke sie das Auslandsjournal.

Von der Politik wertgeschätzt

Auch darf sich die „Super Illu“ der Wertschätzung der Politik längst sicher sein, keiner, der einen Auftritt hier verschmäht. Besonders gern erinnert sich Kobus an das Interview, dass die Kanzlerin der Zeitschrift 2017 gab. „Nicht dem ,Spiegel‘ oder dem ,Stern‘, uns!“ Die „New York Times“ und die „Washington Post“ haben eine ganze Seite daraus gedruckt. Die „Super Illu“ als Leitmedium.

Im Jahr 2001 hatte sie noch eine Auflage von 600 000, inzwischen muss sie sich mit 180 000 bescheiden. Der 25 Jahre alte ostdeutsche „Super Illu“-Abonnent ist eher selten.

Wäre da nicht der Titel, das Sprachrohr des Ostens dürfte heute durchaus als seriöses Magazin gelten. Kein klebriger Boulevard. In der letzten Nummer überrascht es seine Leser gar mit einer Serie zu Friedrich Nietzsche, jeweils auf drei Seiten. „Über Marx haben wir das auch schon gemacht“, sagt ein Trierer über den anderen Trierer, „aber Nietzsche ist doch ein weltbekannter Ossi-Philosoph“. Kann man so sehen.

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