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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

Schwuler Mann wurde in LSBTI-Verfolgerstaat abgeschoben

Im Herkunftsland drohen drakonische Haftstrafen. Sowohl der negative BAMF-Bescheid als auch das negative Verwaltungsgerichtsurteil strotzen dabei nur vor Begründungen, die gegen die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichtes verstoßen.

Mann mit Gesicht im Dunkeln. Symbolfoto für den Bericht: Abschiebung von schwulen Mann verhindern

(Vorbemerkung: Der Text wurde nach der Abschiebung des Mannes aktualisiert)

Die deutschen Behörden haben A.* von seinem langjährigen Partner getrennt und in sein Herkunftsland abschoben. Homosexualität wird dort geächtet und der Staat droht mit drakonischen Haftstrafen. Sowohl der negative BAMF-Bescheid als auch das negative Verwaltungsgerichtsurteil strotzen dabei nur vor Begründungen, die gegen die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichtes verstoßen.

Wir fordern Bundesinnenministerin Faeser auf, Maßnahmen zu ergreifen, um den schwulen Mann in Sicherheit zu bringen und das Paar wieder zusammenzuführen.

*Um A. zu schützen, benennen wir weder das Herkunftsland, das konkrete Verwaltungsgericht noch Details bezüglich der Abschiebung.

Aus Angst outeten sich A. und sein Partner im ersten Asylverfahren nicht

Im ersten Asylverfahren hatten A. und sein Partner aus Angst, Scham und Unwissenheit nicht vorgebracht, dass sie schwul sind und dass sie deswegen Verfolgung bei einer Rückkehr ins Herkunftsland befürchten. Erst nachdem A.'s Partner im Integrationskurs erfahren hatte, dass Lesben und Schwule in Deutschland gleiche Rechte haben, beantragten sie ein erneutes Verfahren (Asylfolge-Verfahren).

Anders als bei seinem Partner (dessen Antrag als „zulässig aber unbegründet“ abgelehnt wurde) beschied das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im November 2019, dass es A.‘s Asylfolgeantrag als unzulässig ansieht. Die neu vorgebrachten Asylgründe sollen nicht einmal geprüft werden. Beide Partner klagten vor dem zuständigen Verwaltungsgericht. Während dieses A.‘s Partner im Rahmen seines Folgeverfahrens zumindest das Vorliegen von Abschiebehindernissen bescheinigte, lehnte es A.'s Asylgesuch ab.

Ablehnung im Asylfolgeverfahren wird mit europarechtswidriger Friststellung begründet

Die Ablehnung und das negative Urteil von BAMF bzw. Verwaltungsgerichts basieren auf europarechtswidrigen Argumentationen.

Im Kern begründet das BAMF den negativen Asylbescheid für A. damit, dass der Asylfolgeantrag innerhalb einer 3-Monatsfrist hätte gestellt werden müssen. Die Anwendung solcher Fristen mit Bezug auf Asylfolgeverfahren hat der Europäische Gerichtshof inzwischen längst für unzulässig befunden (EuGH, Urt. v. 09.09.2021, Rs. C-18/20 - XY).

Fehlendes Coming-out ist laut BAMF „grobes Verschulden“

Zudem trage A. laut BAMF ein „grobes Verschulden“ dafür, dass er sich nicht schon vorher gegenüber BAMF und Gerichten geoutet habe. Dabei hatte A. in seiner Anhörung an mehreren Stellen deutlich gemacht, dass er aus Angst, Scham und Unwissenheit nicht in der Lage war, die mit seiner Homosexualität zusammenhängenden Asylgründe vorzubringen.

Das BAMF befand, A.'s Aussagen „überzeugen nicht“, seien „nicht tragfähig“ und „nicht glaubhaft“. Immerhin zog es A.'s vorgetragene Homosexualität und die Partnerschaft nicht in Zweifel. Umso mehr entsetzt aber, auf welch menschenverachtende Weise es A.'s Motivation für einen Asylfolgeantrag mit dem Begriff „asyltaktisch“ einordnet, der letztlich Betrug impliziert:

„Die Gesamtschau der vorliegenden Umstände legt nahe, dass es sich um eine asyltaktische Folgeantragstellung handelt, welche aufenthaltsbeendende Maßnahmen verhindern soll.“

Aufgrund der zumeist massiven Scham und der durchaus begründeten Angst vor einem Outing sollte bei Asylfolgeanträgen von queeren Geflüchteten regelmäßig kein „schweres Verschulden“ zur Last gelegt werden.

Verwaltungsgericht ignoriert Verfolgungsrisiko und gibt an, dass A. im Herkunftsland angeblich nicht offen leben will

A. klagte daraufhin vor dem zuständigen Verwaltungsgericht. Im Gegensatz zum BAMF setzte sich das Gericht in seinem Urteil aus dem Jahr 2021 zwar inhaltlich mit den von A vorgebrachten Asylgründen auseinander, lehnte die Klage aber dennoch als „unbegründet“ ab.

Das Gericht sei nicht überzeugt, dass der Kläger seine Homosexualität bei einer Rückkehr in „besonders exponierter Weise“ auszuüben wünsche oder ein inneres Bedürfnis danach habe, sich zu seiner sexuellen Orientierung öffentlich zu bekennen. Diese Einschätzung stützte es letztlich allein auf wenige Sätze in der Aussage des Antragstellers in der mündlichen Verhandlung:

"Der Kläger wird zur Entwicklung seiner sexuellen Orientierung und seinem Leben als homosexueller Mann in Deutschland befragt. Hierbei gibt der Kläger unter anderem an: „Es ist mir nicht wichtig, mit jemand anderem über meine sexuelle Orientierung zu reden oder dies mitzuteilen. Das ist meine Privatsache."
(Protokoll der mündlichen Verhandlung 2021)

Dabei handelt es sich um einen Satz, wie ihn auch viele deutsche Schwule, die bei ihren Freund*innen, Familien oder auf der Arbeit geoutet sind, hätten sagen können. Hinzu kommt, dass im Kontext der Anhörung naheliegt, dass er sich offensichtlich vor allem auf seine Situation in einer Sammelunterkunft bezieht: Während beide Antragsteller ihre Ängste vor einem Outing gegenüber Landsleuten vor allem in der Unterkunft zum Ausdruck gebracht hatten, hatten sie ebenso das Gericht wie vorher das BAMF darüber informiert, dass sie an CSDs teilnehmen und Beratungsangebote der LSBTI-Community aufsuchen.

LSBTI-Geflüchtete sehen sich in Sammelunterkünften immer wieder Anfeindungen, Bedrohungen und Beleidigungen ausgesetzt. Ein Großteil von ihnen entscheidet daher, ihre queere Identität zu verbergen und sich nicht zu outen. Dazu kommt die durchaus berechtigte Angst, dass ein geoutetes Leben in Deutschland die eigene Gefährdungslage bei einer Rückkehr ins Herkunftsland erhöht, sollte es zu einer Abschiebung kommen.

Diese Lebensrealitäten von LSBTI-Geflüchteten blendete das Gericht wie vorher das BAMF jedoch aus: Aus einer begründeten Angst vor Verfolgung und Diskriminierung wird der Wunsch konstruiert, A. wolle seine schwule Identität nicht offen ausleben.

„Diskretionsgebot“ ist europarechts- und verfassungswidrig

Das Gericht wendet somit eindeutig das sogenannte „Diskretionsgebot“ an, indem es erwartet, dass A. bei Rückkehr in sein Herkunftsland seine sexuelle Orientierung versteckt und ein Doppelleben führt. Dabei hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) bereits 2013 geurteilt, dass Asylbehörden und Gerichte „vernünftigerweise nicht erwarten [können], dass der Asylbewerber seine Homosexualität in seinem Herkunftsland geheim hält oder Zurückhaltung beim Ausleben seiner sexuellen Ausrichtung übt, um die Gefahr einer Verfolgung zu vermeiden.“ (EuGH, Urt. v. 07.11.2013, verb. Rs. C-199/12 bis C-201/12 - X u.a.). Das Verwaltungsgerichtsurteil muss demnach als klarer Verstoß gegen die Rechtsprechung des höchsten EU-Gerichts gewertet werden. Diese Rechtsprechung ist 2020 auch durch das Bundesverfassungsgericht bestätigt worden.

Hinzu kommt, dass das Verwaltungsgericht in seiner Urteilsbegründung einen Unterschied macht zwischen Antragstellenden, für die ihre homosexuelle Orientierung „identitätsbestimmend“ ist, und Antragstellenden, bei denen das vermeintlich nicht der Fall sei. Dass es sich auch hierbei um eine unzulässige Argumentationslinie handelt, hat der EuGH in seinem Urteil von 2013 ebenfalls deutlich gemacht, indem er anerkennt, dass „die sexuelle Ausrichtung einer Person ein Merkmal darstellt, das so bedeutsam für ihre Identität ist, dass sie nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten.“

Abgesehen davon, dass ein ungeoutetes Leben keinen Schutz vor Verfolgung garantiert, möchte das Verwaltungsgericht entgegen der EuGH-Rechtsprechung A. ein Doppelleben zumuten. Das wird auch an einer weiteren Stelle der Urteilsbegründung deutlich. Mit Blick auf sein Urteil zu A.'s Partner, dem es am selben Tag Abschiebehindernisse zugestanden hat, versucht  sich das Verwaltungsgericht, sich dem zwangsläufig aufdrängenden Verdacht richterlicher Willkür zu verwehren:

"Dabei ist unerheblich wie das Gericht das Verfahren [von A.‘s Partner] bewertet hat, da das Gericht im vorliegenden Einzelfall des Klägers nicht davon überzeugt ist, dass ihn ein Verzicht in einen inneren Konflikt bringen würde. Diese Frage ist unabhängig vom Ausgang des vorgenannten Verfahrens und der dort zum Asylsuchenden gefundenen Überzeugung zu treffen."

Verwaltungsgericht hatte auch kein Problem, A. und seinen langjährigen Partner zu trennen: Recht auf Partnerschaft und Familie wird gar nicht erst geprüft

Nicht nur steht dies in massivem Widerspruch zur EuGH-Rechtsprechung, sondern es verkennt auch vollkommen, dass A. somit von seinem Partner, mit dem er seit sieben Jahren ein Paar ist, getrennt wurde. Das Recht von A. und seinem Partner auf Partnerschaft und Familie, verbrieft im deutschen Grundgesetz wie auch der Europäischen Menschenrechtskonvention, wurde dabei – so ist es leider gang und gäbe bei queeren Asylgesuchen – von den deutschen Behörden nicht geprüft.

A.‘s Fall ist exemplarisch für Kämpfe queerer Geflüchtete gegen europarechtswidrige Verwaltungspraxis

Der LSVD prangert bereits seit Langem die massiven Mängel bei BAMF und Gerichten mit Bezug auf queere Asylsuchende an. 2021 hat der LSVD dem BAMF circa 70 negative Asylbescheide von queeren Geflüchteten zur Überprüfung vorgelegt. In allen diesen Bescheiden hat das BAMF ein mehr oder weniger ungeoutetes Leben zur Grundlage genommen, um die Verfolgungswahrscheinlichkeit bei Rückkehr zu beurteilen. Wir fordern das BAMF auf, sich endlich an geltende Rechtsprechung zu halten und queeren Geflüchteten ein faires Asylverfahren zu gewährleisten.

Auch unter der neuen Bundesregierung möchte sich das BAMF vorbehalten, vorherzusagen, wie offen oder heimlich queere Asylsuchende bei einer Rückkehr ins Herkunftsland mit ihrer sexuellen Orientierung bzw. geschlechtlichen Identität umgehen werden. Kommt es hierbei – wie bleibt hierbei schleierhaft – zu dem Schluss, dass diese aus „eigenem, freiem Willen“ ein Doppelleben führen wollten, sollen diese weiterhin auch in Verfolgerstaaten abgeschoben werden.

Die neue Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag versprochen, die Asylverfahren für queere Verfolgte und insbesondere die Beurteilung der Verfolgungswahrscheinlichkeit bei Rückkehr zu überprüfen. Bei der Beurteilung der Verfolgungswahrscheinlichkeit hat das BAMF bei queeren Geflüchteten grundsätzlich von einem offenen, geouteten Leben und nicht von einem vermuteten „Doppelleben“ auszugehen.

Hintergrund: Auszug aus dem Urteil des Verwaltungsgerichts zu A.:

  1. Anders könnte dies allenfalls zu beurteilen sein für Fälle, in denen homosexuelle Personen in [ihrem Herkunftsland] ihre Neigung besonders offensichtlich und exponiert — auch und gerade in der Öffentlichkeit und für jeden erkennbar und bemerkbar und damit in besonderem Maße anstößig im Sinne der Gesellschaftsordnung [im Herkunftsland] ausleben. Auch legt die strafrechtliche Situation nahe, dass Personen, die ihre homosexuelle Orientierung für sich als identitätsbestimmend bindend ansehen, durchaus hierdurch zu einem Verzicht gezwungen werden, ihre innere Überzeugung entgegen ihrer eigentlichen Identität zurückzuhalten. Nach der Rechtsprechung des EuGHs (U.v. 7.11.2013 — Rs. C-199/12 bis C-201/12 — juris Rn. 65 ff.) darf von einem Asylbewerber aber nicht erwartet werden, dass er seine Homosexualität im Heimatland geheim hält oder sich beim Ausleben seiner sexuellen Ausrichtung zurückhält, um eine Verfolgung zu vermeiden. Für Personen, die ihre sexuelle Orientierung in dieser Weise als identitätsbestimmend ansehen, ist die Gefahr, angeklagt und verurteilt zu werden, erhöht, ebenso wie die Gefahr von nichtstaatlichen, gesellschaftlichen Angriffen auf Leib und Leben. (Anmerkung: Der Absatz ist identisch mit dem im Urteil von Partner)
  2. Im vorliegenden Fall ist das Gericht nach der aus der mündlichen Verhandlung gewonnenen Erkenntnis nicht davon überzeugt, dass der Kläger seine homosexuelle Orientierung in einer derartigen Weise auszuüben wünscht und er ein inneres Bedürfnis hat, sich zu seiner sexuellen Orientierung auch öffentlich zu bekennen. So hat der Kläger selbst in der mündlichen Verhandlung erklärt, er erachte seine sexuelle Orientierung als Privatsache, ohne dass es ihm daran gelegen wäre, andere Personen hiervon wissen zu lassen. Auch erweckte der Vortrag des Klägers zur Entwicklung seiner sexuellen Orientierung bei dem Gericht keinen anderen Eindruck. Dabei ist unerheblich wie das Gericht das Verfahren [von A. Partner] bewertet hat, da das Gericht im vorliegenden Einzelfall des Klägers nicht davon überzeugt ist, dass ihn ein Verzicht in einen inneren Konflikt bringen würde. Diese Frage ist unabhängig vom Ausgang des vorgenannten Verfahrens und der dort zum Asylsuchenden gefundenen Überzeugung zu treffen.

Hintergrund: Auszug aus dem Beschluss des Verwaltungsgerichts zu A. (am Tag vor der Abschiebung – Ablehnung des Eilantrages):

"Es ist, dies auch unter Berücksichtigung der Antragsbegründung sowie der dieser beigefügten Anlagen, zur gerichtlichen Überzeugung nach wie vor nicht ersichtlich, dass der Antragsteller seine sexuelle Orientierung nunmehr in einer derartigen Weise ausüben würde und er ein inneres Bedürfnis hätte, sich zu seiner sexuellen Orientierung auch öffentlich zu bekennen, sie also nicht nur rein privat leben zu wollen, sondern nunmehr und aus ureigenster Motivation besonderen Wert darauf legen würde, seine sexuelle Orientierung auch in Zukunft offen und ohne äußere Zwänge zu leben: Es ist zu berücksichtigen, dass der neueste Vortrag unter dem Eindruck einer drohenden Abschiebung gemacht wurde. und ersichtlich – auch – von dem Bemühen geprägt ist, die in den beiden Erstverfahren aufgezeigten und zur jeweiligen Ablehnung führenden Mängel nachzubessern insbesondere auch im Abgleich zu dem Sachverhalt des Klägers des Verfahrens [Vorverfahren). Das Gericht hatte bereits im rechtskräftigen Urteil des ersten Asylfolgeverfahrens des Antragstellers dessen Gesamtpersönlichkeit gewürdigt, hatte indes dessen Orientierung nicht in Frage gestellt. Soweit im streitgegenständlichen Verfahren die in den Anlagen bezeichneten Unterlagen vorgelegt wurden, erschöpfen diese sich überwiegend in abweichend-kritischen rechtlich-tatsächlichen Beurteilungen verschiedener Institutionen und Stellen zum Ablauf der bisherigen Verwaltungs- und Verwaltungsgerichtsverfahren und zur Lage im Heimatland, vermögen aber das Gericht zu keiner neuen tatsächlichen und rechtlichen Bewertung zu veranlassen. Soweit u.a. auf eine Bescheinigung [der LSBTI-Beratungsstelle A] und eine Mail der Initiatorin [des sozialen LSBTI-Angebots B] abgestellt wurde, werden dort lediglich das Verhältnis des Klägers mit seinem Partner sowie die hieraus erwachsenen Persönlichen und gesellschaftlichen Probleme thematisiert. Damit aber gibt es aber nach wie vor keine zumindest wesentlichen Anhaltspunkte dafür, die die Beurteilung der Gesamtpersönlichkeit des Antragstellers aus dem rechtskräftigen Urteil [Vorverfahren], auf das hin im Übrigen bereits wenige Monate später der nunmehrige zweite Folgeantrag mit einer im Wesentlichen gleichbleibenden Begründung wie im hiesigen Antragsverfahren gestellt wurde, in Frage stellen und eine abweichende Risikobewertung veranlassen würde."

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